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Schweigepflicht von Beratungslehrkräften, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen an Schulen

Verfügung der LSchB vom 16.3.2007 - 9-81410 - (n.v.)

Mit Erlass vom 17.11.2006 hat sich MK folgendermaßen zu der Frage geäußert, inwieweit Beratungslehrkräfte verpflichtet sind, die ihnen in ihrer Funktion anvertrauten Geheimnisse weiterzugeben:

 

„Sinnvolle und effektive Beratung setzt ein bestehendes Vertrauensverhältnis voraus. Die Beratungslehrkraft ist darauf angewiesen, dass die Schülerin oder der Schüler sie umfassend informiert und sich ihr anvertraut. Von daher müssen die Ratsuchenden sich darauf verlassen können, dass ihre Angaben nicht missbraucht und auch nicht an andere weitergegeben werden. Eine Beratungslehrkraft wird nur dann von der Schülerschaft in ihrer Rolle akzeptiert, wenn sie als vertrauenswürdig gilt. Anderenfalls unterliegt aber auch die Beratungslehrkraft grundsätzlichen Offenbarungspflichten.

Daher ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen den Geheimhaltungs- und Offenbarungspflichten von Beratungslehrkräften. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen der Schweigepflicht, die sich aus den dienstrechtlichen Vorschriften des Beamtenrechts ergibt und der strafrechtlich normierten Schweigepflicht nach § 203 StGB.

Unstrittig zählen Beratungslehrkräfte zu den Amtsträgern i.S. von § 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB, die bestraft werden, wenn sie unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis, offenbaren, das ihnen als Lehrkräfte anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. Der Auffassung, die Befugnis zur Weitergabe ergebe sich aus § 11 Abs. 1 i. V. m. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 2 Nds. Datenschutzgesetz und der Ziffer 3.1 Abs. 5 des Erlasses "Zusammenarbeit zwischen Schule, Polizei und Staatsanwaltschaft", kann nicht gefolgt werden. Die Annahme, die Regelung in dem Erlass stelle die erforderliche Rechtsvorschrift i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 2 a Nds. Datenschutzgesetz dar, ist unzutreffend. § 10 Nds. Datenschutzgesetz erfordert eindeutig das Vorliegen einer Rechtsvorschrift, während dessen es sich bei dem fraglichen Erlass lediglich um eine Verwaltungsvorschrift handelt. Auch die behauptete generelle Regelung im Nds. Datenschutzgesetz für die Weitergabe ist nicht ersichtlich.

Somit unterliegen die Beratungslehrkräfte gem. Ziffer 3.1 Absatz 5 des Erlasses "Zusammen- arbeit zwischen Schule, Polizei und Staatsanwaltschaft" nicht uneingeschränkt der Verpflichtung, sofort die Schulleitung zu unterrichten, wenn sie im Rahmen eines Beratungsgespräches mit Schülerinnen und Schülern Kenntnis von in dem Erlass genannten oder vergleichbaren Straftaten erlangen. Der Erlass richtet sich im Übrigen allgemein an Lehrkräfte, nicht im Besonderen an Beratungslehrkräfte.

Die Weitergabe von Mitteilungen kann nur dann als befugt i.S.v. § 203 StGB angesehen wer- den, wenn hierfür allgemeine Rechtfertigungsgründe vorliegen (vgl. Schönke/Schröder § 203, Rn. 54). Wilhelm Habermalz hat in seinem Aufsatz "Der Strafrechtsschutz des Beratungsgeheimnisses" in PädF 3 (1992) hierzu folgende rechtliche Bewertung abgegeben, der sich das MK anschließt:

"In Ausnahmefällen kann die Beratungslehrkraft ein Geheimnis offenbaren, wenn ein strafrechtlicher Notstand vorliegt (§ 34 StGB), also eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum, die nach sorgfältiger Abwägung der Interessen nur durch die Offenbarung abgewendet werden kann. Eine Offenbarungspflicht besteht bei drohender Gefahr einer schweren Straftat. Erfährt die Beratungslehrkraft im Rahmen der Beratung von einem geplanten Mord, Raub oder einer anderen in § 138 StGB genannten Straftat, dann muss dies angezeigt werden, wenn die Beratungslehrkraft nicht selbst Gefahr laufen will, bestraft zu werden."

Nach alledem ist in jedem Einzelfall genau abzuwägen, ob die Schweigepflicht zugunsten einer Offenbarungspflicht verletzt werden darf oder sogar muss. Hier eröffnet sich ein Bereich, in dem die Beratungslehrkraft einen vom Gesetzgeber gewollten Ermessensspielraum hat, den sie eigenverantwortlich ausfüllen muss. Dadurch soll erreicht werden, dass die Probleme mit größerer Wahrscheinlichkeit situationsgerecht, vernünftig und auf die individuelle Lage abstellend behandelt werden können.

Ein Hinweis der Beratungslehrkraft vor Beginn eines Beratungsgesprächs auf die Offenbarungspflicht i. S. d. § 203 StGB ist nicht erforderlich.“ (Ende Zitat MK)

Die vorstehenden Ausführungen können auf Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen übertragen werden.

§ 203 Abs. 1 Nr. 5 StGB lautet auszugsweise:

„Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis …, offenbart, das ihm als … (Nr. 5) staatlich anerkannter Sozialarbeiter oder staatlich anerkannter Sozialpädagoge … anvertraut oder sonst bekannt geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe … bestraft.“

§ 203 Abs. 1 StGB gilt somit auch (für staatlich anerkannte) Schulsozialarbeiter/innen und Schulsozialpädagogen/Sozialpädagoginnen, die an Schulen tätig sind. Für die staatliche Anerkennung ist z.B. in Niedersachsen gemäß § 1 der SozialarbVO Niedersachsen ein diesbezüglicher Abschluss an einer Fachhochschule erforderlich.

Der Geltungsbereich des § 203 Abs. 1 StGB orientiert sich (allein) an der Zugehörigkeit zu der bestimmten Berufsgruppe. Nicht entscheidend ist die konkrete Aufgabe und Tätigkeit, die die Schulsozialarbeiterin bzw. der Schulsozialarbeiter an der einzelnen Schule übernimmt. Es ist somit unerheblich, welche Aufgabenfelder (z.B. Berufsorientierung, soziale Kompetenzförderung in Gruppen, offenes Gesprächsangebot) oder Tätigkeitsschwerpunkte (z.B. Beratung) der Schulsozialarbeiter an einer Schule wahrnimmt. Nicht relevant ist, ob der Schulsozialarbeiterin bzw. dem Schulsozialarbeiter ein fremdes Geheimnis im Rahmen einer Beratung anvertraut wird oder beispielsweise bei Ansprache durch eine Schülerin bzw. einen Schüler auf einer von ihr/ihm begleiteten Veranstaltung/Schulfahrt.

Die Verschwiegenheitspflicht nach § 203 Abs. 1 StGB gilt grundsätzlich auch behördenintern, d.h. innerhalb der Schule gegenüber den Vorgesetzten (Schulleitung), gegenüber Kolleginnen und Kollegen, auch gegenüber denen, die ggf. ebenfalls der Schweigepflicht nach § 203 StGB unterliegen, oder gegenüber der Aufsichtsbehörde.

Gemäß § 203 Abs. 3 Satz 2 StGB stehen den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen ihre berufsmäßig tätigen Gehilfen (z.B. Assistenzkräfte oder Schreibkräfte, die an dem Geheimnis teilhaben) und die Personen gleich, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind (z.B. Praktikantinnen und Praktikanten).

Die Weitergabe eines Geheimnisses (= Tatsache, die nur einem einzelnen oder einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse hat) ist dann nicht unbefugt, wenn sie

- mit Einwilligung der/des Betroffenen erfolgt,

- gesetzlich ausdrücklich geboten ist.

Die Einwilligung muss zum einen eindeutig sein im Hinblick auf die Person bzw. den Personenkreis, der bzw. dem gegenüber die Entbindung von der Schweigepflicht erfolgt. Zum anderen müssen die Informationen konkret angegeben werden, die offenbart bzw. weitergegeben werden dürfen. Die Einwilligung von minderjährigen Schüler/innen wird man als wirksam ansehen können, wenn diese die Tragweite ihrer Entscheidung überblicken können. Ab einem Alter von 14 Jahren wird in der Regel die erforderliche Einsichtsfähigkeit vorhanden sein. Dieses ist jedoch in jedem Einzelfall zu prüfen. Es empfiehlt sich, die Einwilligung schriftlich einzuholen.

Gegenüber den Erziehungsberechtigten einer minderjährigen Schülerin/eines minderjährigen Schülers besteht eine aus dem Erziehungsrecht (§§ 1626, 1631 BGB) resultierende Offenbarungspflicht. Diese Offenbarungspflicht wird begrenzt durch das Selbstbestimmungsrecht des minderjährigen Geheimnisträgers. In jedem konkreten Einzelfall ist abzuwägen, wessen Interessen vorgehen. Das Geheimhaltungsinteresse des Minderjährigen, dass seine Erziehungsberechtigten nicht erfahren, dass er Beratung in Anspruch nimmt, steht dem Interesse der Erziehungsberechtigten, aufgrund Ihres Erziehungsrechts und ihrer -pflicht, hiervon Kenntnis zu erlangen, gegenüber. Im Rahmen der Abwägung sind insbesondere die Einsichtsfähigkeit der/des Minderjährigen und Gründe des Kindeswohles zu berücksichtigen.

Die Zeugnispflicht in einem Strafverfahren geht der Schweigepflicht vor. Ein strafprozessrechtliches Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO wird der Berufsgruppe der Sozialarbeiter/innen bzw. Sozialpädagogen nicht zuerkannt.

Die aus § 203 StGB resultierende Verschwiegenheitspflicht betrifft jedoch nicht die gesamte Tätigkeit der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen und der Beratungslehrkräfte.

§ 43 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) normiert einen umfangreichen Aufgabenkatalog der Schulleiterin bzw. des Schulleiters. Nach § 43 Abs. 2 Nr. 1 NSchG trägt die Schulleiterin oder der Schulleiter die Gesamtverantwortung für die Schule. Sie oder er ist zugleich Vorgesetzte/r der an der Schule tätigen Beschäftigten, somit auch der staatlich anerkannten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie der Beratungslehrkräfte.

Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach § 43 NSchG und als Vorgesetzter muss die die Schulleitung über die wesentlichen schulischen Ereignisse informiert sein.

Die Verschwiegenheitspflicht, die grundsätzlich auch gegenüber den Vorgesetzten besteht, ist dann nicht berührt, wenn die Schulleitung beispielsweise eine allgemeine Darstellung der Tätigkeit der Schulsozialarbeiterin oder des Schulsozialarbeiters, der Sozialpädagogin oder des Sozialpädagogen oder der Beratungslehrkraft anfordert. Diese sind aufgrund ihrer Eingliederung in den hierarchischen Behördenaufbau gehalten, Informationen zu Arbeitszeiten, Tätigkeitsschwerpunkten, deren Gewichtung u.ä. mitzuteilen. In diesem Zusammenhang dürfen keine Informationen/Daten weitergegeben werden, die Rückschlüsse auf bestimmte Personen erlauben. Auch die Erhebung und Weitergabe von aggregierten und hinreichend anonymisierten Daten über die Beratung (Zusammenfassungen, Statistiken, allgemeine Tätigkeitsberichte) verletzt die Verschwiegenheitspflicht nicht. Die Schulleitungen sind kraft ihrer Fürsorgepflicht gehalten, nur solche Auskünfte anzufordern, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht in einen Konflikt mir ihrer strafrechtlich sanktionierten Verschwiegenheitspflicht bringen.

Die Verfügung „Schweigepflicht von Sozialpädagoginnen/ Sozialpädagogen“ der Landesschulbehörde, Abteilung Hannover, Außenstelle Syke, vom 04.07.2005, 2 SY c, wird aufgehoben.

Quellenangabe: Schule und Recht in Niedersachsen (www.schure.de)